Das letzte Wort dem Volk?
NZZ vom 28.11.2015
Volksinitiative will Zuständigkeit für Lehrpläne ändern
Am Freitag ist die Zürcher Volksinitiative «Lehrplan vors Volk» mit 12 050 Unterschriften eingereicht worden. Fast genau zur gleichen Zeit hat der Bildungsrat den Fahrplan für die Einführung des Lehrplans 21 ab 2018 bekanntgegeben.
WALTER BERNET
Hinter der Zürcher Volksinitiative «Lehrplan vors Volk» steht als treibende und koordinierende Kraft die junge Ustermer SVP-Kantonsrätin Anita Borer. Ihre Arbeit hat jetzt Erfolg gezeitigt. Zusammen mit Mitgliedern des Komitees hat sie am Freitagvormittag der Staatskanzlei 12 050 Unterschriften für die Initiative übergeben können, ungefähr doppelt so viele, wie gesetzlich gefordert wären.
Borer wird unterstützt von einem ziemlich heterogenen Komitee, in dem die Junge SVP mit Präsident Pascal Theiler vertreten ist, aber auch die Jungfreisinnigen mit Präsident Andri Silberschmidt. Dazu kommen zum Beispiel SVP-Kantonsrat Matthias Hauser, die EDU-Kantonsräte Hans Peter Häring und Michael Welz, der ehemalige EVP-Kantons- und Bildungsrat Hanspeter Amstutz, der Kinderarzt Hannes Geiges und Markus Erb, Präsident des Vereins «Bürger für Bürger», welcher Verbindungen zur Auns, zur «Schweizerzeit», zu Pro Libertate und zum Umfeld des früheren Vereins zur Förderung der Psychologischen Menschenkenntnis (VPM) aufweist.
Lehrplan-21-Fahrplan steht
Die Initiative fordert, dass Lehrpläne vom Kantonsrat zu genehmigen und dem fakultativen Referendum zu unterstellen seien. Hintergrund ist die diffuse, von staatspolitisch-föderalistischen, bildungspolitischen und pädagogischen Vorbehalten genährte Kritik am neuen Lehrplan 21 der Deutschschweizer Kantone, dessen Einführung in den deutsch- und mehrsprachigen Kantonen anrollt oder bereits begonnen hat.
Pikant: Nur eine gute Stunde vor der Einreichung der Unterschriftenbögen hat der Bildungsrat seinen Beschluss zu den Eckwerten der Einführung des Lehrplans 21 publiziert. Das im Kanton Zürich nach wie vor für die Erlassung von Lehrplänen zuständige Gremium hält also am neuen Lehrplan unbeirrt fest. So hat der Bildungsrat entschieden, den Lehrplan 21 im Kindergarten und in den ersten fünf Primarklassen auf das Schuljahr 2018/19 einzuführen. Ein Jahr später sollen dann auch die anderen Klassen der Volksschule nach den neuen Leitplanken unterrichtet werden.
Im nächsten Frühling findet zu seinen Inhalten und zur neuen Lektionentafel nochmals eine Vernehmlassung statt. Zeugnisse und Beurteilungen mit Noten werden erhalten bleiben. Die verbleibende Zeit wird für Weiterbildungen und Vorbereitungsarbeiten in den einzelnen Schulen genutzt.
Zuerst über Initiative befinden
Gar nicht einverstanden mit diesem Vorgehen ist Anita Borer. Die Einführung des Lehrplans 21 müsse sistiert werden, bis über die Volksinitiative abgestimmt sei. Aus ihrer Sicht ist das kein Problem. Der gegenwärtige Zürcher Lehrplan sei ja gut.
Der Initiative kommt allerdings rechtlich keine aufschiebende Wirkung zu. Der Regierungsrat hat jetzt sechs Monate Zeit, um die Gültigkeit bzw. Ungültigkeit der Initiative festzustellen. Danach stellt er Antrag an den Kantonsrat, der die Initiative materiell behandelt. Diese muss spätestens 30 Monate (mit einem allfälligen Gegenvorschlag 36 Monate) nach der Einreichung dem Volk unterbreitet werden. Zur Abstimmung kommt es also, kurz bevor die ersten Klassen nach dem Lehrplan 21 unterrichtet werden.