Moratorium für eine Grossreform
Anita Borer, Kantonsratssitzung, Zürich, 29.8.2016
Der Kantonsrat sendete am vergangenen Montag ein wichtiges bildungspolitisches Signal aus. Eine Einzelinitiative, welche ein Moratorium für die Einführung des Lehrplan 21 forderte, wurde mit Unterstützung von SVP, EDU, Teilen der SP und vereinzelten Stimmen anderer Parteien überwiesen.
Wieso war die SVP für ein Moratorium?
Es ist bekannt: Die von einem breit abgestützten Komitee eingereichte Initiative „Lehrplan vors Volk“ ist mit mehr als der doppelten Anzahl an benötigten Unterschriften zustande gekommen. Die Initiative möchte, dass der Kantonsrat und in letzter Instanz das Volk Gelegenheit haben, den neuen Lehrplan anzunehmen oder abzulehnen.
Bis das Stimmvolk über die Initiative befinden konnte, dürfte der neue Lehrplan gar nicht eingeführt werden. Ungeachtet dessen und obwohl es viele, im Volk höchst umstrittene Inhalte im neuen Lehrplan gibt, werden munter Lehrmittel danach konzipiert und bereits heute Neuerungen umgesetzt.
Unsere hauptsächlichen Kritikpunkte:
1. Kantonshoheit wird tangiert
Der neue Lehrplan ist weit umfassender, als es gesetzlich vorgegeben ist und untergräbt als solches jegliche kantonale Autonomie.
Im Bildungsartikel (Art. 62 der BV) steht, dass in den Kantonen eine «Harmonisierung des Schulwesens in den Bereichen des Schuleintrittsalters und der Schulpflicht, der Dauer und Ziele der Bildungsstufen» stattfinden müsse. Weder der Bildungsartikel noch das Harmos-Konkordat legitimieren den Bund dazu, den Kantonen einen umfassenden Lehrplan aufzuerlegen.
2. Sinnvolle Harmonisierung wird nicht erreicht
In den letzten Jahren wurde unser Schulwesen bereits harmonisiert und erfüllt mehrheitlich die Vorgaben des vorhin erwähnten Bildungsartikels der Bundesverfassung. Eine weitergehende Harmonisierung wird mit dem neuen Lehrplan nicht erreicht, im Gegenteil:
Das Hauptanliegen der Harmonisierung, das Antreffen eines ungefähr gleichen Wissensstandes in den Klassen auf gleicher Stufe (z.B. wichtig bei einem Schulwechsel) wird nicht erreicht. Denn mit Zykluszielen, die über drei Jahre hinweggehen, werden die Lernstände, sogar innerhalb einer Gemeinde, weit auseinanderklaffen.
3. Inhalt des Lehrplans ist höchst umstritten
Ein Lehrplan soll die Richtung vorgeben, einen Rahmen setzen und für klare Bedingungen sorgen («Rahmenlehrplan»). Der neue Lehrplan weist hingegen einen hohen Detailierungsgrad auf, der die unternehmerische Freiheit der Lehrer/-innen einschränkt. Von «Methodenfreiheit» ist sodann nirgends ausdrücklich die Rede.
Angestrebt wird nicht mehr das Erreichen inhaltlicher Lernziele, sondern das Erwerben messbarer Kompetenzen. Die Bildungsdirektion führt zwar aus, dass Kompetenz Wissen voraussetzt. Nur wird nirgends mehr festgehalten, welches Wissen überhaupt wichtig ist.
Die Kompetenzen im Lehrplan 21 sind zudem schwammig formuliert, grundlegendes Wissen, das auch für das spätere Berufsleben wichtig ist, wird nicht mehr explizit gefordert. Ein derartiger Qualitätsabbau bei der Bildung muss – auch im Sinne der Schweizer Wirtschaft – verhindert werden.
4. Einführung geht auf Kosten der Gemeinden
Unbestritten ist, dass die Einführung des neuen Lehrplans, insbesondere für die Gemeinden, Mehrkosten nach sich ziehen wird. Diese bzw. deren Steuerzahler sind es nämlich, welche die Lehrmittel, die Schulstrukturen, die Weiterbildungen usw. zu einem überwiegenden Teil bezahlen müssen. Eine Mitsprache der Bevölkerung ist also auch aus finanzieller Sicht mehr als nur angebracht.
Fazit
Die Volksschule ist, wie es der Name sagt, eine Schule für das Volk und entsprechend demokratischen Grundsätzen verpflichtet. Gerade die Diskussion zum «Moratorium Lehrplan 21» hat gezeigt, dass im Zusammenhang mit der Einführung des neuen Lehrplanes noch viele Fragen offen und diverse Punkte – parteiübergreifend – umstritten sind. Eine Mitbestimmung des Parlaments und in letzter Instanz der Bevölkerung ist wichtig; ein Moratorium, bei der Reformwut der aktuell wütenden Bildungstheoretiker, unerlässlich.