Newsletter vom 9. 7. 2017
Mit dem neuen Lehrplan wird die Katze im Sack gekauft
Fragt man Politiker, Lehrerinnen oder Eltern nach einer raschen Einschätzung des neuen Lehrplans, kommen meist positive Antworten. Die Bildungsziele sollen für alle Schüler verbindlich geregelt sein und der Kantönligeist habe in unserer Zeit nichts mehr verloren. Und gerne wird hinzugefügt, dass mit dem systematischen Vermitteln von Kompetenzen das Lernen und nicht mehr das Pauken im Vordergrund stehe. Und wie steht es um das Urteil von Personen, die den Lehrplan wenigstens ansatzweise begutachtet haben? Fast alle finden, dass der Lehrplan auf jeden Fall ein Fortschritt sei und auf wissenschaftlicher Basis von Experten aus Theorie und Praxis beruhe. Mit solchen Standard-Aussagen sind die Urteilenden auf der sicheren Seite und haben nichts zu befürchten.
Weit unbehaglicher ist den Lehrpersonen und Politikern zumute, welche die Dimensionen des neuen Lehrplans erahnen und ernsthafte Fragen zu dessen Umsetzung stellen. Ist das ganze Bildungsprogramm überladen? Führt dies zu verunsicherndem Halbwissen? Wie weit geht die Individualisierung der Lernprozesse und wie verändert sich dadurch die Rolle der Lehrpersonen? Bringt eine präzis geregelte Steuerung der Bildungsvorgänge wirklich einen pädagogischen Mehrwert oder wird das Ganze zum teuren Flop? Dass diese Fragen heute lauter gestellt werden, ist zweifellos das Verdienst der sorgfältigen Aufklärungsarbeit von Persönlichkeiten, welche grundlegend über den Lehrplan nachgedacht haben.
Die Pragmatiker unter den Lehrplanbefürwortern haben unterdessen erkannt, dass es gefährlich ist, den neuen Lehrplan als Jahrhundertwerk zu bezeichnen. Politiker sprechen heute nur noch von einem Kompass, um die Bedeutung dieses Steuerungsinstruments zu mindern. Ja sie bemühen sich, unsere Kritik zu entkräften, indem gewisse Anpassungen vorgenommen werden. Damit ist aber keinesfalls sichergestellt, dass die im neuen Lehrplan angelegte Dynamik eines unausgereiften Umbaus der ganzen Volksschule aus der Welt geschafft ist. Es gibt eine erhebliche Zahl von Didaktikern, Politikern und Fachleuten aus der Bildungsindustrie, welche nur allzu gerne den Weg des Totalumbaus einschlagen möchte.
Es ist nicht ratsam, den grundlegenden Kurs der Volksschule allein durch sogenannte Fachleute festlegen zu lassen. Wenn es um Grundsätzliches geht, muss das Volk entscheiden können. Der Zürcher Kantonsrat hat kürzlich über die Vorlage „Lehrplan vors Volk“ debattiert. Deshalb haben wir in der letzten Ausgabe das differenzierte Referat von Anita Borer gleich an den Anfang gestellt, in dieser folgt die Stellungnahme von Mathias Hauser im Kantonsrat.
Schauen Sie sich die Stellungnahme an und bilden Sie selber ein Urteil.
Andere Beiträge unserer Ausgabe beleuchten die pädagogische Zukunft aus ganz verschiedenen Blickwinkeln und sind als Ferienlektüre bestens geeignet.
Das Redaktionsteam wünscht Ihnen schöne Sommerferien und meldet sich nach der Sommerpause wieder.
Für das Redaktionsteam «Lehrplan vors Volk»
Hanspeter Amstutz
Inhalt
- Votum im Kantonsrat zur Debatte um die Volksinitiative «Lehrplan vors Volk»
- Vom Wert pädagogischer Freiheit
- Mangel an KV-Lehrlingen nimmt zu
- Seid clever – werdet Maler!
- «Nur wenige Wunderkinder retten ihr Talent ins Erwachsenenalter»