Newsletter vom 18.2.2018
Ein bildungspolitischer Paukenschlag
Die umstrittenen Forderungen des Wirtschaftsverbands Economiesuisse zur umfassenden Digitalisierung der Primarschule haben mit einem Schlag gezeigt, wozu die überzogenen Zielsetzungen des neuen Lehrplans verleiten können. Der Verband hat erkannt, dass die Idee einer konsequent leistungsdifferenzierten Förderung der Primarschüler die Ressourcen der Volksschule übersteigen würde. Das Konzept des neuen Lehrplans sieht vor, jeden Schüler in seinem eigenen Lerntempo zu unterschiedlichen Lernzielen zu führen. Pädagogisch gesehen ist gegen eine massvolle Individualisierung nichts einzuwenden, doch der Lehrplan verfolgt einen radikaleren Ansatz, indem er das massgeschneiderte Lernen zum Grundprinzip erhebt. Da gleichzeitig auf verbindliche Jahresziele verzichtet wird, droht eine kaum noch zu bewältigende Heterogenität in den Klassen. Ohne eine teure zweite Lehrkraft pro Klasse dürften die höchst anspruchsvollen Zielsetzungen deshalb kaum erreicht werden.
Ecomiesuisse glaubt nun die Lösung gefunden zu haben, indem der Unterricht in Mathematik und Deutsch über digitale Lernprogramme abgewickelt würde. Die Aufgabe der Lehrpersonen bestände hauptsächlich darin, den Unterricht zu organisieren und die Schüler bei den Lernprozessen zu überwachen. Zudem sollten die Primarschüler in den Hauptfächern in Leistungsgruppen eingeteilt werden. Man ist überzeugt, dass mit den vorhandenen finanziellen Mitteln so mehr herausschauen und das Konzept des neuen Lehrplans ein Erfolg wird.
Das einschneidende Reformkonzept deckt auf, dass der neue Lehrplan die Schule grundlegend verändern wird. Bei allem Respekt vor der Absicht, einen gesunden Leistungsgedanken schon früh bei der Jugend zu verankern, ist der Preis für dieses Anliegen zu hoch. Dessen Verwirklichung käme einem Abschied von humanistischen Bildungsvorstellungen gleich. Wer weiterhin beschwichtigt, der neue Lehrplan habe keine nennenswerten Auswirkungen auf den Unterricht, tut dies gegen besseres Wissen oder hat das viel gerühmte Lehrplankonzept innerlich bereits aufgegeben.
Einmal mehr können wir in diesem Newsletter mit einem pädagogischen Leckerbissen den Auftakt machen. Alt-Rektor Carl Bossard setzt mit seinen Beitrag über das Wesentliche in der Pädagogik der aktuellen Digitalisierungs-Euphorie überzeugende Grenzen. Im Gegensatz zur laufenden Diskussion über die Lehrplan-Initiative, wo ein Teil der Presse allen tiefgehenden pädagogischen Sachfragen ausweicht, ist man nach Carl Bossards Lektüre um einige Erkenntnisse reicher.
Dass doch noch substanzielle Informationen über den Lehrplan an die Öffentlichkeit gelangt sind, verdanken wir in erster Linie den aufmerksamen Leserbriefschreibern. Deren Beiträge verdienen es, in den Netzwerken weiter verbreitet zu werden.
Kurz vor Redaktionsschluss ist in den Regionalzeitungen ein Streitgespräch zum Lehrplan erschienen, das als löbliche Ausnahme wirklich beide Seiten zu Wort kommen lässt.
Allen, die uns bisher so engagiert unterstützt haben, danken wir herzlich. Wir hoffen, dass beim Schlussspurt nochmals eine Vielzahl von treffenden Leserbriefen die Redaktionen erreichen werden.
Für die Redaktion «Lehrplan vors Volk»
Hanspeter Amstutz
Inhalt
- Digital first! Pädagogische Reflexion second
- Bitte herunterfahren
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Der neue Lehrplan: Von kompliziert und überladen bis nötig und stimmig
- Kommt der Lehrplan vors Volk?
- Lehrplan vors Volk
- Leserbriefe
Probleme mit dem Lehrplan 21
«Bildung – das politische Tabuthema?»
Der Lehrplan schafft einen markanten Kurswechsel
PH-Professor stellt das anthropologische Menschenbild auf den Kopf und klemmt Diskussion ab
Mitbestimmung bei schulischen Weichenstellungen
Ökonomisierung der Bildung
Judith Barben referiert zum Lehrplan 21 - Methode Reichen am Pranger
- Tagungsbericht: Time for Change? (Wuppertal)
- „Wohin führt die Vermessung unserer Kinder“